Von den letzten Dingen
Tot ist, wer vergessen wird. Wen wir vergessen und an wen wir uns erinnern, ist aber nicht dem Zufall überlassen. Vielmehr sind Erinnern und Vergessen in ihre jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte eingebunden. Neben dem „Wem?“ des Erinnerns und Vergessens muss auch nach dem „Wie?“ gefragt werden. Dieses „Wie?“ stellen wir mit Symbolen, Schriftarten, Platzgestaltung, Dimensionierungen und anderen künstlerisch-gestalterischen Ausdrucksweisen dar. Dabei spielt neben dem gesellschaftlichen Kontext auch die politisch-ideologische Grundhaltung von Kunst- und Architekturschaffenden sowie von Entscheidungsträger:innen eine entscheidende Rolle – damit sind diese Artefakte des Erinnerns in ihrer Betrachtungsweise und ihrem Ausdruck aber auch wandelbar.
Die grundsätzlichen Fragen des „Wem?“ und „Wie?“ des Erinnerns und Vergessens fassen wir unter dem Begriff „Erinnerungskultur“ zusammen, der heuer im Mittelpunkt der Kulturfesttage „von den letzten Dingen“ steht. Der Rankweiler Liebfrauenberg bietet dazu vielfältige Anknüpfungspunkte, die wir im Programm aufgreifen. Der Friedhof im Innenhof der Basilika wird zum Schauplatz eines mittelalterlichen Totentanzes und zusammen mit der Kunsthistorikerin Margarete Zink setzen wir uns mit dem Kriegerdenkmal und dem Häusle Mosaik vor der Basilika auseinander. In verschiedenen Dialogformaten und Festen widmen wir uns auch dem Erinnern in anderen Kulturen und Menschen, die versterben, bevor sie überhaupt das Licht der Welt erblickt haben. Wie immer im Mesnerstüble wollen wir zum Dialog anregen, zum Entdecken ermuntern und zum Genießen einladen.
15. Oktober bis 11. November | Fotoausstellung "Friedhöfe hier und anderswo"
Mesnerstüble
Schon der Schriftsteller Wolf Haas befand: „Ich finde Dorffriedhöfe schön. Die Witwen pflegen die Gräber, bringen Blumen. In vielen Dörfern gibt es am Friedhof mehr Leben als auf dem Dorfplatz.“ Friedhöfe sind ein zentraler Bestandteil unseres Totengedenkens, in dem sie es uns ermöglichen unsere Verstorbenen an einem fix definierten Ort zu besuchen. Bis in die Steinzeit zurück gibt es Befunde, dass Menschen ihre verstorbenen Ahnen bestattet haben, um ihnen zu gedenken. Schon damals war diese Praxis teilweise in Vorstellungen über das Weiterleben nach dem Tod eingebettet und hatte damit auch einen expliziten kultischen und kulturellen Bezug.
Friedhöfe sind also mehr als der eingefriedete Bereich einer Kirche, von dem sich der althochdeutsche Begriff „frithof“ ableitet. Wer auf einem Friedhof wo liegt, wie die Gräber ausgestaltet sind oder der Friedhof als Ganzes angelegt ist, sagt viel über gesellschaftliche Strukturen, kulturelle Vorstellungen über den Tod, oder einfach auch über die sozialen Kontakte und die Persönlichkeit eines Menschen aus. Hans Kohler hat auf seinen Reisen zahlreiche Friedhöfe in unterschiedlichsten Ländern fotografiert. Die Fotoausstellung ist eine Einladung an alle, sich auf Friedhöfe hier und anderswo einzulassen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unseren neun Rankweiler Friedhöfen zu entdecken und sich selbst darüber Gedanken zu machen, wo und wie man in Zukunft gerne begraben sein möchte.
Vernissage zur Ausstellung Friedhöfe hier und anderswo, 15.10.2023, 15:00 - Mesnerstüble
17. Oktober, 19.00 Uhr | Im Dialog: Der Verein VergissMichNicht mit Nicole Benvenuti
Mesnerstüble
Wie erinnert man sich an Menschen, die nur kurz oder gar nie das Licht der Welt erblickt haben. Familien von Sternenkinder haben ganz besondere Verluste zu tragen. Nicole Benvenuti spricht im Dialog mit einer betroffenen Sternenkind-Mama sowie mit Bernadette Brieskorn, Hebammengremium Vorarlberg, Bianca Luger - Selbshilfegruppe „Sternenmamis“, Daniel Dalmonek – Bestattung Reumiller, Maria Kühne-Lerch - Seelsorge LKH FK und Sophia Rüscher-Fussenegger - Psychosoziale Beratung über den Umgang mit dieser schmerzvollen Erfahrung und wie Sternenkindern gedacht wird.
22. Oktober, 18.00 Uhr | Erinnern mit der Kunstinstallation „Grablicht“
St. Michaels Friedhof
Liebevoll Erinnern
Von allen Verstorbenen in unserer Pfarrgemeinde, die seit dem letzten Allerseelensonntag verstorben und kirchlich begraben worden sind, zeigen wir Bilder. Auf diese Weise rufen wir die Verstorbenen noch einmal in das Gedächtnis der ganzen Gemeinde.
Weitere Möglichkeiten: Donnerstag, 26. Oktober bis Sonntag, 5. November 2023, an Sonn- und Feiertagen ganztägig und an den Werktagen von 16.00 bis 18.00 Uhr, St.-Michaels-Kirche
Kunstinstallation „Grablicht“
Im Anschluss lassen wir zum ersten Mal die Lichtinstallation „Grablicht“ vom Künstler Thomas Benner erstrahlen. 5.800 Grablichter füllen diese Installation. In der Morgen- und Abenddämmerung ist die Installation von ihnen beleuchtet und verbindet sich durch die Farbe mit den hunderten von aufgestellten Grablichtern am Friedhof.
Mit dieser künstlerischen Intervention antworten wir auf die gesellschaftliche Entwicklung, dass Friedhöfe zwischenzeitlich mehr sind als ein Platz für Beisetzungen Verstorbener und dem Gedenken. Sie sind zunehmend Kommunikationstreffpunkte. Dazu wollen wir diesen Räumen mehr Bedeutung geben, sie in das Leben integrieren und über Kunst und Kultur neue Ebenen der Begegnung erschließen.
24. Oktober, 19.00 Uhr | Der St. Michaels Friedhof als Paradiesgarten
Mesnerstüble
Die St.-Michaels-Friedhöfe verändern sich! Wie diese Veränderungen aussehen, worin sie sich begründen, welche weitreichenden Konsequenzen sie mit sich bringen und welche Chancen sich für die Zukunft daraus ergeben, erörtern wir mit Architekt Andreas Cukrowicz.
Der Friedhof ist ein Ort, an dem Tod und Leben aufeinandertreffen. Diesen Ort immer wieder neu zu denken und zu gestalten, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Gestalten Sie mit!
26. Oktober, 12.00 Uhr | Interkulturelles Totenmahl
Mesnerstüble
Das Totenmahl ist in allen Kulturen ein wichtiger Bestandteil des Abschiednehmens von Verstorbenen. Über ein
Vier-Gang-Menü von Köchinnen aus verschiedenen Kulturkreisen erfahren wir, wie das gemeinsame Essen dort organisiert wird und stattfindet und wie in den jeweiligen Kulturen an die Verstorbenen gedacht wird.
27. Oktober, 17.00 Uhr | Inegüxla - Valdunafriedhof
Valdunafriedhof
Der Ursprung der Valdunafriedhöfe in der Nähe des Landeskrankenhauses Rankweil geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Auf kleinstem Raum vereinigt die Anlage mehrere Ruhestätten, durch die uns die Historikerin Simone Drechsel führen wird: Friedhof des Klosters Valduna, der Wohltätigkeitsanstalt und der Landesirrenanstalt bzw. des Krankenhauses nach dem Zweiten Weltkrieg, Wehrmachtsfriedhof, Russenfriedhof sowie Friedhof für frühverstorbenen Kinder.
27. Oktober, 19.00 Uhr TOTENTANZ | Küstlergespräch
Mesnerstüble
29. Oktober, 19.00 Uhr TOTENTANZ | 1. Aufführung
Friedhof Basilika
31. Oktober, 19.00 Uhr TOTENTANZ | 2. Aufführung
Friedhof Basilika
Totentanz
Diese Reaktualisierung des mittelalterlichen Totentanzes stütz sich inhaltlich auf das ihm bereits innewohnende Potential, dass in seiner Klarheit und Sensationalität an nichts eingebüßt hat. In dem Moment, in dem der Tod seine knöcherne Hand nach den Lebenden austreckt und sie zum Tanz auffordert, findet man sich in einer Szene wieder, die auf Lebender Seite vom Loslassen geprägt ist, gefolgt von einem Übergang, den der Tod begleitet, und der die Perspektive der Toten eröffnet. Der Tod, der in Form des menschlichen Skeletts in Erscheinung tritt, ist als solches jedem Menschen bereits innewohnend. Der Tod ist der bereits gestorbene Mensch. Dieser bringt keinerlei Wertung mit sich, kein Glück, keinen Schmerz. Er ist das, was der Mensch bereits zuvor war und da es einer von uns ist, der uns zur gegebenen Zeit abholt, eröffnet er den Blick auf das Sterben als kollektiven Akt.
Die Gleichheit, die der Tod mit sich bringt, lässt sich als Individuum nur schwer denken. Denn sie verwischt den Anspruch auf den „eigenen, individuellen Tod“ und bietet uns stattdessen ein Eingehen und Einreihen in eine kollektive Erfahrung. Wenn auch viel vom „Alleinsein beim Sterben“ gesprochen wird, die Darstellung des Totentanzes zeigt uns, wie ein bereits gestorbener Mensch uns abholt und belgeitet. In der Vielheit des Todes und der Toten ist der Mensch in seiner Erfahrung nicht allein.
Carolyn Amann
Den Würmern wirst du Wildbret sein - ein Auftakt zum Totentanz, 27.10.2023, 19:00 – Mesnerstüble
Was ist ein Totentanz? Worum geht es bei diesem mittelalterlichen Ritual? Warum eine Aktualisierung dieses alten Rituals? Kirchenraumpädagoge Markus Hofer sowie Ursula Sabatin und Carolyn Amann führen uns in dieses sagenumwobene und uralte Schauspiel ein, das in den kommenden Tagen im Friedhof der Rankweiler Basilika stattfinden wird.
Totentanz, 1. Aufführung, 29.10.2023, 19:00-19:45 – Friedhof Basilika
Totentanz, 2. Aufführung, 31.10.2023, 19:00-19:45 – Friedhof Basilika
Der Totentanz wird im Friedhof der Basilika aufgeführt und begleitet von Text, Musik und einer Videoinstallation. Die Zuschauer:innen finden sich im Umlauf ein und beobachten von dort das Treiben.
Die künstlerische Gestaltung des Totentanzes erfolgt durch:
Ursula Sabatin - Tanz
o Ursula Sabatin ist Tänzerin, Choreografin, Tanzpädagogin und künstlerische Leiterin von „Tanzufer - zeitgenössischer Tanz und Performance“. Ihre Ausbildungen und Aufführungen führten sie durch Europa und die USA.
www.tanzufer.at
David Danel - Violine
o David Danel studierte Violine am Janáček Konservatorium in Ostrava. Seit rund 20 Jahren ist er ein international anerkannter Geiger. Zwischen 2000 und 2011 war er ein Mitglied des Prager Philharmonie-Orchesters.
Carolyn Amann - Text, Performance
o Carolyn Amann ist Sprachkünstlerin, Dramatikerin und Dramaturgin. Ihr künstlerischer Werdegang führte sie u.a. ans Schauspielhaus Graz, Schauspielhaus Wien, zu den Bregenzer Festspiele und den Wiener Festwochen.
www.carolynamann.at
Aron Kitzig - Video, Bild- & Tonregie
o Aron Kitzig ist seit 2000 in der Kunstszene als Videokünstler aktiv, unter anderem bei den Bregenzer Festspielen, an der Wiener Staatsoper, dem Lausitz Festival und der Camerata Salzburg.
www.aronkitzig.de
04. November, 12.00 bis 18.00 Uhr | Dia de los Muertos
Mesnerstüble und Kirchplatz
An diesem Nachmittag feiern wir gemeinsam mit dem lateinamerikanischen Kulturverein "Tierra Madura" das mexikanische Totengedenken. Neben mexikanischer Livemusik und mexikanischen Speisen, gibt es auch einen, für diesen Tag typischen, Gedenkaltar. Alle sind eingeladen Bilder ihrer Verstorbenen mitzubringen und am Altar aufzustellen.
10. November, 19.00 Uhr | Im Dialog: Claudia Wielander und Margarete Zink über Kriegsenkel:innen
Mesnerstüble
Als Kriegsenkel:innen werden diejenigen Menschen benannt, die in den 50er, 60er und 70er Jahren geboren wurden. Ihre Eltern haben den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt und haben viele seelische Belastungen, wie Schmerz, Angst und Traumata an ihre Kinder weitergeben.
Über den Umgang mit diesen Belastungen spricht Claudia Wielander, Kriegsenkelin, Psychotherapeutin und Mitbetreiberin der Homepage www.kriegsenkel.at im Dialog mit Margarete Zink.
11. November, 15.00 Uhr | Das Häusle-Mosaik im Kontext des Künstlers - Dialogführung mit Margarete Zink
Mesnerstüble
Das Häusle-Mosaik als Teil des Kriegerdenkmals vor der Basilika sticht im Vergleich mit anderen Denkmälern jener Zeit besonders hervor, denn es stehen nicht die heroischen Soldaten im Vordergrund. Vielmehr rückte der Künstler Martin Häusle die trauernden Hinterbliebenen der Weltkriege in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Kunsthistorikerin Margarete Zink erläutert in einer Dialogführung, wie das Häusle-Mosaik in das Leben und Schaffen von Martin Häusle eingeordnet werden kann.